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Dienstag, 6. Oktober 2015

Das Leben der Monsterhunde









Das Leben der Monsterhunde, Kirsten Bakis
(Hoffmann und Campe, 1998)

Klappentext:
 Eine Gruppe elegant in Frack und Zylinder gekleideter Monsterhunde erobert im Jahr 2008 im Sturm New York. Die Tiere sind Flüchtlinge aus einer Stadt, deren Einwohner mehr als ein Jahrhundert lang abgeschieden vom Rest der Welt gelebt haben. Auftreten und Sprache der Monsterhunde spiegeln Leben und Kultur Preußens am Ausgang des 19. Jahrhunderts wider, der Heimat ihrer Schöpfer. Reich und berühmt, scheinen die Tiere die aufrecht gehen und mittels Kehlkopfprothese sprechen können, ein Leben voller Glanz und Luxus zu führen.
Cleo Pira, eine junge Geschichtsstudentin, schließt mit ihnen Bekanntschaft und entdeckt, daß die Monsterhunde durch eine geheimnisvolle unheilbare Krankheit vom Aussterben bedroht sind.
Als die Hunde auf der Lower East Side Manhattens den Bau ihres Traumschlosses "Neuhundstein", ein Abbild des im 3. Jahrtausend längst sagenumwobenen "Neuschwanstein", in die Tat umsetzen und sich dort verschanzen, findet sich Cleo Pira als eine von wenigen menschlichen Zeugen auf einer prunkvollen Feier wieder, von der sich bald herausstellt, daß sie zum tragischen Finale im Leben der Monsterhunde wird.


Das Wall Street Journal wird auf der Buchrückseite zitiert mit den Worten:
 Ein phantastischer Wurf, ganz in der Tradition von Robert Louis Stevenson und Mary Shelley stehend.
Nun, Stevenson habe ich (zumindest bisher) nicht gelesen, persönlich wäre ich da eher bei H. G. Wells Die Insel des Dr. Moreau gewesen, den Vergleich mit und die Inspiration durch Mary Shelley aber kann das Buch nicht leugnen, und muss es auch nicht.

 Kirsten Bakis schreibt vielleicht nicht mit der selben Eleganz wie ihre berühmtes Vorbild, folgt jedoch einer ähnlichen Grundthematik und versteht es damit wie Mary Shelley einen ihren Bann zu ziehen.
Tatsächlich sind die Hunde ganz ähnlich wie Frankensteins Schöpfung auf der Suche nach einem Daseinssinn und dabei unfähig diesen in sich selbst zu finden. Befreit von der ihnen von ihrem geistigen Schöpfer zugedachten Rolle, welche durch den technischen Fortschritt ohne hin überholt war, sind sie haltlos. Unfähig sich selbst einen Sinn zu schaffen, suchen sie nach definierung in einer Gesellschaft die sie nur als Kuriositäten, als Monster wahrnimmt.
 Obwohl ich mein bestes tat, um sie loszuwerden, kamen oft zwei oder drei Glühwürmchen mit mir nach Hause, und beim Einschlafen beobachtete ich dann, wie sie in der Dunkelheit ihre Kreise zogen. Ich hätte gern gewusst, was sie zueinander sagten, wenn sie aufglühten und wieder verloschen, und ob ihre Botschaften empfangen wurden, jetzt, da sie so weit von den anderen auf der Terrasse entfernt waren. Ich ließ das Fenster offen, so daß sie zu den Sumachbäumen auf dem verwilderten Grundstück hinter dem Gebäude entkommen konnten, aber ich befürchtete, daß es ihnen dort, zwischen dem hartlaubigen Unkraut und dem Müll, auch nicht besser gefiel als in meiner Wohnung, und daß sie wahrscheinlich in die Stadt hinausflogen und nach anderen Glühwürmchen suchten und sich zwischen all den Lichtern verirrten, diesen komplizierten Signalen, die nicht für sie gedacht waren.
 Bakis erzählt die Geschichte dieser Monsterhunde auf zwei abwechselnden Ebenen, bestehend  zum einen aus den Erinnerungen Cleo Piras an die Zeit mit den Hunden im New York um 2009, und Auszügen aus Ludwig von Sachers unvollendetem Werk über ihren Schöpfer Augustus Rank, betitelt mit Das Leben der Monsterhunde, sowie seinem persönlichen Tagebuch welches Einblick in das Leben der Hunde abseits der Öffentlichkeit erlaubt und uns mit jener mysteriösen Krankheit vertraut macht, welcher die Hunde nach und nach anheim fallen.

 Es ist ein melancholisch gehaltener Roman, der wie oben mal traurig philosophisch daherkommt, dann aber auch wieder in verspielten Details aufgeht,
 Es war das Jahr, in dem dieser eigenartige Brautkleidstil Mode wurde, ein kurzer, weiter Rock mit einer Art breiter Schleppe, die hinten bis zu den Knöcheln herunterhing, so daß das Ganze wie eine abgeschnittene Version der Kleider von 1880 aussah, die die Hunde trugen, und bis zu jenem Nachmittag hatte ich noch nie so ein Kleid angehabt. Zu meinem gehörte ein hübsches, figurbetontes Jäckchen mit Ärmeln, die gerade eben bis zum Ellbogen gingen, und einem V-Ausschnitt, beides mit violettem Fell besetzt, und dazu passend trug ich eine Pillbox aus gefärbtem Fuchs, kurze Handschuhe und einen kleinen Sonnenschirm. Diese Aufmachung hätte fürchterlich aussehen können, aber der Modeschöpfer, der die Sachen angefertigt hatte, war so ordentlich und so konservativ, daß ich im ganzen wie eine leicht plüschige Version einer Stewardeß um 1940 aussah, und das hielt ich, als ich mein Spiegelbild in den Fensterscheiben betrachtete, für einen netten Effekt.
Gerade jedoch in der sich konsequent aufbauenden, bedrückenden Atmosphäre des Romans orientiert sich Bakis stilistisch wie thematisch an Shelley und ihrer Zeit.
Mit jedem Kapitel steuert die Geschichte auf das unvermeidliche Ende der Hunde zu, bis sie im nicht enden wollenden, sich zum Alptraum mutierenden Eröffnungsfest Neuhundsteins einen an E. A. Poes Die Maske des roten Todes erinnernden Höhepunkt findet.
 In diesem Augenblick sah ich Lydia, die gerade den höchsten Punkt eines ungeheuren Sprunges erreicht hatte, der an der Tür begonnen haben mußte und sie ganz bis zum Bett hinüberfliegen lassen würde. Sie trug einen roten Seidenkimono, der wie eine Fahne hinter ihr herwehte. Ihr Gesicht war schrecklich verzerrt, schwarze Lefzen und gefletschte Zähne, die Ohren an den Kopf geklebt, das Nackenfell so steif aufgerichtet, daß selbst der beim Sprung erzeugte Luftstrom es nicht ganz herunterdrücken konnte.

 Das Leben der Monsterhunde ist ein Roman der sich beim erneuten Lesen als nicht minder faszinierend erwiesen hat, wie bei der ersten Begegnung. Schade nur, das Autorin Kirsten Bakis nach diesem herausragenden Debüt nichts mehr von sich hören ließ.
Auch wenn sich durch das Buch hindurch immer wieder Parallelen zu Shelleys Meisterstück ziehen lassen, lebt die Geschichte tatsächlich von Bakis unverkennbar eigenem Stil und einer Originalität die es zu einem durch und durch selbstständig empfehlenswerten Werk machen, welches sich jedoch auch als Companion-Read zu Shelleys Frankenstein jedem Fan an das Herz legen lässt.

 Wieso in der deutschen Titelgestaltung daraus ein Das Leben der Monsterhunde wurde, lässt sich wohl nur von den dafür zuständigen erraten.

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