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Sonntag, 10. Juli 2016

Die Alchemie der Nähe








 Die Alchemie der Nähe, Gaia Coltorti
(Blessing, 2013)


Eine erotische Jugendfantasie.

Klappentext:
 Vom ersten Moment an ist Giovanni hingerissen von seiner Schwester die er zuvor nur wenige Male, und da noch als Kind, gesehen hat. Selvaggias lange Beine, ihre meist zu einem Pferdeschwanz gebundenen schwarzen Haare, ihre Eleganz nehmen ihn gefangen. Anfangs tauschen sie nur verstohlene, wie zufällige Berührungen aus. Doch dann schlägt Giovanni ihr vor, für zwei Tage gemeinsam an den Gardasee zu fahren, wo sie sich immer näher kommen. Jetzt ist Giovanni endgültig für seine Selvaggia entbrannt. Sie wirft ihm vor verrückt zu sein, schließlich seine sie Geschwister, ob er das vergessen habe?
Und doch dankt sie ihm nach dem Ausflug für einen der schönsten Tage ihres Lebens.
Zurück in Verona beherrschen sie ihre Leidenschaft füreinander noch; die Nähe der Eltern, die bemerken, dass die Geschwister ständig zusammenhocken, verfehlt ihre Wirkung nicht. Doch als Selvaggia den Schlüssel für die noch leer stehende Wohnung ihrer Mutter in der Via Anfiteatro findet, die verkauft werden soll, haben die beiden plötzlich ein Refugium, wo sie unbeobachtet sind. 


 Das erste das einem sofort ins Auge fällt ist der ungewöhnliche Erzählstil, eine wie ich fand faszinierende Anwendung der zweiten Person:
 Weißt du noch? Ihr wart nichts weiter als zwei Schüler nach einer Liebesbegegnung, und sie schlief. Sie atmete an deinem Hals, mit ihrer süßen Nähe machte sie dich glücklich.
 Es gibt einen allwissenden, oder zumindest bereits die ganze Geschichte kennenden, Erzähler der Giovanni/Dir die Ereignisse erneut vor Augen führt. Es wird nicht klar wer dieser Erzähler ist, meine persönliche Vermutung ist dass es sich um Giovanni, sprich einen selbst, handelt, der aus der Warte eines unbeteiligten Beobachters heraus über das Geschehene reminisziert.
Dadurch bewirkt die Erzählperspektive eine logische Doppelbindung, ist man doch als Leser zugleich Beobachter aber auch wer Beobachtet wird.

 Zugegeben das ist an manchen Stellen ein wenig Gewöhnungsbedürftig, aber wenn man sich darauf Einlässt, eine brisant bereichernde Perspektive für dieses erotische Gedankenspiel.

 Das zweite das einen sofort in der Geschichte ankommen lässt, ist der gewählte Einstiegspunkt. Die sinnlich erotische, aber auch dezent romantische Schilderung des Moments danach. Die in diesem ersten Kapitel heraufbeschworene Grundstimmung erotisch romantischer Spannung versteht es die Autorin bis knapp zur Hälfte des Buches zu halten.
Von ihrer ersten Begegnung an besteht diese sexuelle Spannung zwischen den Zwillingen, und für uns Leser, der wir ja schon einen Blick in die Zukunft der beiden werfen durften, besteht sie vom ersten Satz an. Fortan lebt der Roman vom verzehrenden Verlangen Giovannis nach seiner Schwester, welches ihn in ungeahnte Gefühlswallungen stürzt, bald Himmelhochjauchzend vor Glück, bald am Boden zerschmettert vor Scham und Abscheu. Dazwischen ziehen sich Episoden in denen die beiden wie jedes andere Liebespaar langsam zusammenfinden, durch Verona ziehend, sich in leidenschaftlichen Küssen und zärtlichen Berührungen verlieren und an jener unsichtbaren Grenze der Moral entlangtastend, von der sie wissen dass es ihnen nicht gestattet ist sie zu überschreiten - was sie natürlich, wie wir bereits wissen. aber doch tun werden. Dieses erotische Spiel zwischen den beiden ist ungemein Spannend und Romantisch geschildert und verleiht der Erzählung ein auf eine eigene Weise unschuldiges Knistern, welches das Lesen zu einem reinen Vergnügen macht.

 Du warst viel zu sehr davon absorbiert, deine Schwester zu beobachten, die ihrerseits damit beschäftigt war, die vielen unbekannten Orte und Dinge zu verarbeiten, die in der beginnenden Dämmerung auf sie einstürzten. Auch wenn es dir kurz so vorkam, als betrachtete sie eigentlich dich - Giovanni, den Schmerzensmann, den tödlich verwundeten, der sich im Autofenster spiegelte.

Unglücklicherweise streckt Autorin den Verlauf der Geschichte danach unnötig in die Länge.
Da sich Gaia bei den Sexszenen bedeckt hält (pun may be intended), sprich diese Szenen nach leidenschaftlichen Küssen und Berührungen ausblendet - werden sie sehr bald beliebig und eintönig, und erfahren zu selten Auflockerung, wie zum Beispiel wenn überaus amüsant die beiden Gefahr laufen von der eigenen Mutter im Flagranti erwischt zu werden, als diese gerade potentiellen Mietern ihre alte Wohnung zeigt, welche sich Salvaggia und Giovanni als Liebesnest auserkoren haben.
Ohne den Reiz des Verbotenen, denn diese Grenze wurde nun bereits überschritten, verliert die Geschichte sogleich drastisch an Tempo und verliert sich in nicht immer nachvollziehbaren Episoden, welche Giovanni und Salvaggia im Würgegriff einer Obsession für einander zeigen, welche sich in einem seltsam anmutenden Reigen von Anziehung und Abstoßung Bahn bricht. An Stelle der sexuellen Spannung zwischen den beiden hätte ab diesem Punkt die schwebende Gefahr der Entdeckung, durch Eltern oder Freunde, den Spannungsbogen aufrecherhalten müssen, doch dieses Gefühl der Gefahr vermag die Erzählung kaum zu Transportieren. Stattdessen setzt die Autorin auf die "Leiden" Giovannis, welche aber nicht überzeugen können, hier wirk alles sehr Theatralisch und Aufgesetzt, ein nicht wirklich stimmiger Kontrast zur romantischen Atmospäre der Liebesbegegnungen der beiden Geschwister.

 Dies kennzeichnet für mich eines der Hauptmankos der Geschichte, dass beider Verhalten zumeist weitgehend unnachvollziehbar bleibt. Während man Giovannis Gefühlsschwankungen noch mit seiner Obsession mit der eigenen Schwester erklären kann, wenn zum Beispiel er unvermittelt seine Schwester zur Madonna hochstilisiert, um sie gleich darauf wieder als Hure zu verunglimpfen, bietet uns die Autorin leider keine Möglichkeit Salvaggias Verhalten eingehender zu ergründen. Salvaggia ist mal ganz manipulierendes Biest, dann, im Kreis ihrer ehemaligen "Freunde" scheint sie unterwürfig und Liebeshungrig, sich keiner Erniedrigung zu Schade wenn sie dadurch nur das Gefühl von Anerkennung erhalten kann.
Doch die einzigen Erklärungen die wir je erhalten bleiben jene welche Giovanni sich gibt, der wenig verlässlich je nach Gefühlslage wenn Salvaggia nicht auf ihn ein geht sich sofort von ihr zurückgestoßen fühlt oder wenn sie gehässig zu ihm ist dies im eigenen Liebestaumel zu tatsächlichen Zeichen für Verletzlichkeit und erwiderte Liebe umdeutet.
Kurz, Giovanni ist Selvaggia  komplett verfallen.
Es gibt kaum einen Zweifel wer die treibende Kraft in dieser verhängnisvollen Beziehung ist, wer führt, und wer sich nur verführen lässt.

 Erst zum Ende hin, auf die letzten Kapitel zu nimmt die Geschichte wieder Fahrt auf. Hier zieht nun die Autorin alle Register der Soap-Opera. Lässt die Geschwisterbeziehung im prallen Pathos explodieren.
Man kann förmlich Hören wie sich auf den letzten Seiten die große Abschiedsarie gegen ein sich zum Crescendo steigerndes Orchester erhebt.

 "Innerhalb ein und desselben Körpers kann es gar keine Abstoßungsreaktion geben! Du hast mich geprägt, mir das Leben von einer ganz anderen Seite gezeigt, mir eine andere Art zu denken, eine neue Welt nahegebracht. Dank dir habe ich gelernt zu lieben."
 Sie lächelte mit den Augen, aber auch mit den Lippen. Und du strahltest nur so vor wiedergefundenem Glück. Ächz!
 Die Alchemie der Nähe ist Handwerklich unter dem Strich ein eher durchschnittlicher Roman. Man merkt den Sätzen der Autorin ihre Jugend und schriftstellerische Unerfahrenheit an, und doch es ist oft gerade diese zwischen stilistischer Plattheit und extremer Dramatisierung schwankende Prosa, die dem Roman ein Stück Authentizität zurück gibt, welches in den oft unbeholfen Hölzern oder zu gestelzt wirkenden Dialogen verloren geht.

 Der Übersetzung, beziehungsweise dem Lektorat, lässt sich leider kein großes Lob aussprechen. Der Text ist geplagt von unnötigen Grammatikfehlern, wer also auf solches großen Wert legt, sollte einen Bogen um das Buch machen.

 Wer sich für eine unterhaltsam, wenn auch mit Längen erzählte Soap-Opera erwärmen kann, der sollte dem Buch aber auf jeden Fall einen Blick gönnen. Die Geschichte mag nicht perfekt sein in ihrer Erzählung, weist aber genügend herzerwärmend romantisch Szenen, Humor, Drama und einen gehörigen Schuß Teenangst auf, und wird auch nie so platt, dass es nicht zumindest noch zu einem amüsierten Grinsen anregen würde. 

"Forbidden love, goes straight to your heart and I can't stand the pain when I call out your name"

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