Der Talisman, Stephen King & Peter Straub
(Hoffmann und Campe, 1986)
Klappentext:
Der zwölfjährige Jack Sawyer hat eine weite, abenteuerliche Reise vor sich: er begibt sich auf die Suche nach dem Talisman, der allein durch seine magische Kraft Jacks todkranke Mutter retten kann. Um ihn zu erreichen, muß Jack nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika vom Atlantik bis zur Pazifikküste durchqueren, sondern auch ihre geheimnisvolle, phantastische Gegenwelt: Die Region.
Die Region: so wirklich und zugleich unwirklich wie Atlantis oder Avalon, und an das Mittelalter der Menschheit gemahnend, ist sie eine Welt magischer Spiegelungen. Was hüben geschieht, kann drüben entsprechende Begebnisse auslösen. Menschen dieser Welt haben in der Region ihre „Twinner“: So Jacks Mutter in der gleichfalls kranken Königin der Region, so Morgan Sloat, der Jacks Vater ermorden ließ, in Morgan von Orris, dem Feind der Königin und Herrn einer gespentischen Armee von Monstren und Werwölfen; so endlich der sadistische Reverend Sunlight Gardener, Leiter eines sinistren Erziehungsheimes für jugendliche, in Osmond, den die Bewohner der Region „Den mit der Peitsche“ nennen.
In beiden Welten hat Jack auf seiner Suche nach dem Talisman Abenteuer zu bestehen, Mut zu beweisen und Gefahren zu überwinden, aus denen ihn oft nur das „Flippen“ rettet: Der Sprung in die jeweils andere Welt. Doch hier wie dort liegen Idyll un Entsetzen nahe beieinander: Horror und Fantasy durchdringen sich in einer Geschichte von faszinierendem Bilderreichtum und atemberaubender Spannung.
(Text: Hoffmann und Campe)
Um ’83-’84 machte ich nacheinander lesend Bekanntschaft mit zwei der damals als die zeitgenössischen Horrorautoren gehandelten Schreibern.
Von den beiden kam Peter Straub zuerst, sein hoch gelobtes Geisterstunde viel mir auf einem Kaufhausgrabbeltisch in die Hände. Nach einem fantastischen Einstieg, neben Kings Es der einzige welcher für sich beanspruchen kann mir den Schlaf geraubt zu haben, verlor sich die Erzählung in scheinbar zusammenhangslosen Geschichtssträngen.
Man muss Straub jedoch anrechnen das er es geschafft hat auf den ersten Seiten eine Atmosphäre der Bedrohung zu schaffen welche bis hin zur Mitte des Buches anhält, ohne das je wieder etwas passiert... kurz gesagt, irgendwann hat mein jugendliches Ich die Seiten nur noch überblättert um zu sehen ob sich doch noch ein Sinn ergibt. Noch kürzer gesagt, sehen sie sich den Film an, der erzählt die Geschichte sehr viel durchschaubarer und mit anhaltender Spannung.
Im selben Jahr verfilmte John Carpenter den Roman Christine, von Bestsellerautor Stephen King. Der Film, welcher außerhalb von Carpenters Fangemeinde eigentlich durchgehend schlechte Kritik erntete, gehört immer noch zu meinen Lieblingen. Der Film war auch der Grund weshalb ich mir das Buch kaufte kaum das ich ihm ansichtig wurde (ich war damals noch in der Lehre und konstant knapp bei Kasse, weswegen ich mir das Geld dafür von meinem Bruder leihen musste – ich hoffe das ich es ihm auch wieder zurückgezahlt habe, denn sonst wäre es von Rechtswegen immer noch sein Buch...).
Von Straub habe ich Jahre später noch ein oder zwei Kurzgeschichten angelesen, nur um festzustellen das Geisterstunde ganz dem typischen Straubstil entsprach – welcher mir nicht lag. Straub gab ich auf, King war ich ab Christine verfallen und verschlang seine Werke mit weitgehend anhaltender Begeisterung, mit einer Ausnahme: Der Talisman, eine Kollaboration zwischen den beiden Autoren.
1986 im Hoffmann & Campe Verlag erschienen wanderte das Buch zwar wohl unmittelbar nach erscheinen in meine Buchschrank, verweilte dort jedoch, nach kurzem Anlesen, auch bis vor wenigen Wochen. Letztlich habe ich mich doch wieder daran gewagt, und nach einem monat Lesezeit es diesmal auch geschafft Jacks Reise bis zu ihrem Ende zu verfolgen.
Meine Begeisterung für das Werk hält sich immer noch in Grenzen. Durch die lange Lesezeit fallen einem zu viele Ungereimtheiten auf, es ist schwer zu sagen wie exakt die Geschichte umrissen war, als die beiden anfingen daran zu Schreiben, und zu oft fühlt man sich beim Lesen an Tolkien erinnert. Zugegeben, es dürfte schwer bis unmöglich sein nach dem Vater der Nach-Arthurischen Quest Fantasy, noch einen Quest Fantasyroman zu schreiben der nicht an ihn gemahnt. Das Problem ist einfach das Tolkien mich durchgehend fesseln konnte, auch dann noch wenn er sich nur in Weg- und Landschaftsbeschreibungen erging.
Dieses Talent haben weder Straub noch King.
Zu den Ungereimtheiten, welche darauf hinzuweisen scheinen das die Regeln des Romans sich ein Stückweit tatsächlich erst im Verlauf des Schreibprozesses herauskristallisiert haben, gehört besonders markant das es zu einem Späteren Zeitpunkt im Buch heißt, dass nur Jack in der Lage sei durch die Region zu Reisen, da sein Zwilling verstorben ist. Zuvor jedoch hören wir von Jack und seinem Freund jeweils eine Geschichte in der sie ihre Väter dabei beobachtet haben wie sie einen Raum (respektive einen Wandschrank) betraten um später von einem anderen Ort wiederzukehren. Dem widerspricht die Darstellung eines Übertritts von Morgan Sloat, der beim Wechseln in die Region, immer nur in den Körper seines Twinners springen kann, somit nur dorthin Reisen kann, wo dieser sich gerade befindet, und bei seiner Rückkehr in den eigenen Körper sich wieder an seinem Ausgangspunkt findet.
Eine Kleinigkeit, zugegeben, aber der Roman entwickelt sich so Spannungsarm, beziehungsweise wechselt er bis zum Showdown konstant zwischen Spannenden und mühsam zu lesenden Kapiteln hin und her, so das man sehr viel Zeit hat sich um solche Dinge Gedanken zu machen.
Laut einem King lesenden Geschäftskollegen (aber wer aus meiner Generation wäre auch kein Kingleser gewesen?) entstand der Roman als Experiment zwischen den beiden Autoren, wobei der eine ein Kapitel vollendete und dann das Material dem anderen zusandte der die Geschichte an dieser Stelle aufgegriffen und weitergesponnen hat. Angesichts der Jahreszahl ist der Begriff „zugesandt“ hier vermutlich sogar wörtlich zu nehmen. Diese herangehensweise an ihr Schreibexperiment erklärt vermutlich die auftretenden Ungereimtheiten im Roman, sowie die wechselhafte Spannungsentwicklung.
Ich möchte mir nicht anmaßen zu sagen, das man, zumindest ich aber, herauslesen könnte an welchem Abschnitt welcher Autor schrieb. Es gibt Szenen im Roman, welche ich vor dem Lesen von Schwarz, eventuell ungerechtfertigt, Straub zuschrieb, und es gibt solche die so klar Kings schriftstellerische Stärke reflektieren, sprich seinen Cineastisch geprägten Erzählstil aufweisen, das ich wenig Zweifel an der Urheberschaft hege.
Und es gibt die sehr King typische Bildsprache, welche nicht immer logisch aber ungemein plastisch und einprägsam daherkommt.
Diesmal spürte er nicht nur, wie das Hotel zuhörte; diesmal schien es ringsum zurückzuweichen wie das Gewebe eines Verdauungsorgans vor einem vergifteten Stück Fleisch.
Die Obsession mit Sex ist vermutlich beiden Autoren gemein, aber zum Glück im Talisman nie so vordergründig ausgeprägt wie in der Dunkler Turm Heptalogie, in der, zumindest in Schwarz, wirklich jeder davon besessen ist. Fantasy für Freudianer...
Vergleiche zum Dunklen Turm drängen sich nicht minder auf, als solche zu Tolkien. Die Queste Jack Sawyers zum Schwarzen Hotel spiegelt schon sehr stark das Thema von Rolands Weg zum Dunklen Turm, fühlt es sich an. Und Der Talisman wird bei Goodreads auch als Pendant zu Kings Zyklus erwähnt. Die Elemente, allen voran der Weltenverbindende Talisman, sind gegeben.
Nach einem langen, beschwerlichen Weg, für den Leser nicht minder als für Jack, und dem durchaus spannend geratenen Showdown, folgt der nicht weniger langatmig geratene Ausklang der Geschichte in dessen Verlauf King (Straub? Beide?) extrem moralisierend daherkommt, und mir zum ersten mal so richtig bewusst wurde wie stark Kings Erzählungen, aller Wetterei gegen christliche Kulte und selbsternannte Prediger zum Trotz, von einem US-Christlichen Welt- und Moralbild geprägt sind.
Es ist mir beim Lesen des Buches auch zum ersten mal Kings Neigung bewusst geworden, das Böse mit „sexueller Abartigkeit“ gleichzustellen – auch hier wieder, Freud lässt schön Grüßen.
Persönlich würde ich Der Talisman keine Empfehlung aussprechen, doch muss der Roman gut genug angekommen sein, da er, wie nun auch The Shining, zwanzig Jahre Später eine weitere Zusammenarbeit der Autoren, an einem Sequel mit dem erwachsenen Jack, nach sich zog.
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