Reckless: The Petrified Flesh, Cornelia Funke
(Breathing Books, 2016)
Inhaltsangabe:
Jahrelang ist es Jacob Reckless gelungen, im Zimmer seines verschwundenen Vaters unbeobachtet die Hand auf den Spiegel zu legen und so ins märchenhafte Reich dahinter zu gelangen. Dort hat er als erfolgreicher Schatzjäger unter anderem im Dienst der Kaiserin gearbeitet, ist dem Schuh von Aschenputtel ebenso hinterher gejagt wie dem Tischlein deck dich, dem Knüppel aus dem Sack oder dem Goldenen Ball, der jeden in sich hineinzuziehen vermag, der ihn berührt. Und er hat erfahren, dass sein Vater mit seinen Erfindungen den grausamen Goyls bei ihrem Kampf gegen die Menschen geholfen hat: jenen seelenlosen Wesen also, deren Haut (und Herz) aus Stein besteht.
Jetzt aber ist Jacobs jüngerer Bruder Will dem Schatzjäger ins geheimnisvolle Reich hinter dem Spiegel gefolgt – und gerät dadurch in tödliche Gefahr. Plötzlich droht er selbst zu einem Goyl zu werden: mit einer Haut aus Jade. Der Jade-Menschengoyl aber soll mit einer ungeheueren Macht ausgestattet sein, die sich der Goyl-Herrscher Kami’en zunutze machen könnte, um endgültig über die Menschen zu siegen. So jedenfalls hat es die Dunkle Fee erträumt, die an der Seite Kami’ens herrscht. Und während Jacob mit Wills Freundin Clara und der Gestaltenwandlerin Fuchs verzweifelt versucht, den Verfall von Wills fleischlicher Haut in Jade aufzuhalten, ist Will längst als Leibwächter des Goyl-Königs eingeplant. Eine unerbittliche Jagd gegen die Zeit beginnt, die Jacob kaum gewinnen kann...
(Text: Amazon.de)
Reckless unterscheidet sich zu Tintenherz unter anderem darin, dass der Schreibstil hier direkter auf den Punkt gebracht ist. Das ist einerseits erfreulich weil die Geschichte mit weniger Füllmaterial daherkommt und nicht irgendwann im Kreis läuft, wie dies eben bei Tintenherz der Fall war, andererseits gab es oft Stellen im Roman da hätte ich mir mehr Hintergrund gewünscht. Vieles wird nur angerissen oder angedeutet, man muss Dinge oft einfach hinnehmen wie sie sind oder versuchen sich selbst zusammenzureimen.
Alles in allem hat mir Reckless trotz der schlankeren Schreibweise weniger Vergnügen bereitet beim Lesen. Die Charaktere blieben meist farblos, mit Jacob gar konnte ich mich kaum anfreunden, nur die Nebencharaktere, Jacobs Bruder Will (und jetzt erst fällt mir auf dass das die Namen der Grimms sind), dessen Freundin Clara und Fox wussten zu gefallen.
Was mir dann aber bei Reckless spontan nicht gefiel ist das Cornelia Funke die Rolle von Fox, einer Gestaltwandlerin welche einem zunächst wie Jacobs weise mütterliche Ratgeberin erscheint, im Verlauf der Geschichte einfach nur zur blindverliebten jungen Frau reduziert, die immer treu auf Jacobs Rückkehr hart und kein eigenes Leben zu haben scheint.
Ich finde hier vergeudete die Autorin eine gute Chance ihre Geschichte um eine starke Identifikationsfigur für junge Mädchen zu bereichern*.
Mal ehrlich, wer wäre in jungen Jahren nicht gerne in der Lage gewesen nach belieben in das Fell eines Fuchses / einer Füchsin zu schlüpfen?
Doch bei Cornelia Funke wird auch dies nur zu einer Flucht.
Wie Jacob sich durch den Spiegel hindurch aus der Verantwortung um seine Mutter und seinen Bruder stiehlt, so flieht Fox vor der Ungerechtigkeit ihres Menschenlebens in das wilde Leben der Füchsin. Aber, und hier wird es richtig problematisch, es scheint das sie dieses Leben nur an der Seite Jacobs führen kann, weil dieser ihr einziger Antrieb ist.
Auch möchte Reckless Erwachsener sein als es Tintenherz war, zwar einerseits ähnlich verspielt aber eben ohne dessen unschuldige Naivität.
Im Ganzen baut die Geschichte sehr viel auf Gewalt und Sexualität auf, welches bei mir einen recht schalen Nachgeschmack hinterliess.
Ein wirklich riesiges Problem beim Lesen von Reckless hatte ich dabei damit wie Funke mit der konstanten Präsenz sexualisierter Gewalt in ihrer Geschichte umgeht, nämlich gar nicht. Wie wir es aus klassischen Texten kennen, wird diese entweder überhaupt nicht angesprochen oder nur in beschönigenden Floskeln. Das Problem ist nur, Jacob stammt nicht aus dieser, in einer vergangenen Epoche stehengebliebenen Welt, noch Will, oder Clara... trotzdem wird sexualisierte Gewalt nie direkt angesprochen, obwohl sie ständig irgendwie im Raum steht.
Es werden weder in der nachfolgenden Passage noch sonst wann im Buch die Worte Kriegsverbrechen oder Vergewaltigung im Mund geführt:
It gave her a bittersweet satisfaction that his human princess couldn’t give Kami’en children either, unless he wanted to sire one of those crippled monsters some mortal women had borne his soldiers.Obwohl spätestens dann wenn es im Buch heißt, das Kami’en der erste Goyl sei der eine Menschenfrau zur Ehegattin nimmt diese Passage kaum eine andere Deutung zulässt.
Zu einem späteren Zeitpunkt begegnen unsere Helden einer Band marodierender Plünderer auf einem früheren Schlachtfeld, deren Anführer ruft „Tötet die anderen, die Frau gehört mir!“, aber auch hier dient die Drohung sexualisierter Gewalt nur als „Spannungsmoment“ und um zu Zeigen wie sehr Will seine Clara liebt.
Zu dem erfahren wir das Jacob unter anderem sich damit verdingt hat Mädchen aus den Klauen „liebeskranker“ Wassermänner zu befreien, welche diese in ihr unterseeisches Reich verschleppen und dort gefangen halten. Jacob selbst ist ein ganzes Jahr lang unter dem Bann einer Fee gestanden mit dem sie ihm zu ihrem (Bett-)Partner gemacht hat.
Heldin Clara ist später permanent, offener sexueller Belästigung durch den Zwerg Valiant ausgesetzt.
All dies geschieht weitgehend unkommentiert, ist Norm der Dinge.
I’m not amused!
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
* Ich setze hier eine gewisse Hoffnung auf Besserung mit dem angekündigten vierten Band in dem es nach Asian, ins Land der Kitsune geht.